Toni Vescoli„Natürlich bin ich auch ein Entertainer. Ich bin glücklich,wenn ich dem Publikum Freude bereiten kann und dabei auch noch selbst Freude empfinde. Das ist ein Privileg.“(Toni Vescoli im Country-Style-Interview, Februar 2019) sen. Jedenfalls will er jenen hellen gelben Vollmond, der vorn auf der CD hoch überdem Sumpf steht und diesen auf dem Al-bumcover erleuchtet, als spärliches Licht ver-standen wissen, das unter Umständen etwas Helligkeit selbst in ein Leben voll Dunkelheitund wenig standfestem Untergrund zaubern kann. Der Titelsong Gääle Mondist mehr Ge-dicht als Lied. Aber eingebettet in eine schau-rig-schön langsame Blues-Melodie, gespiel tmit Slide-Gitarren-Technik, wird diese Meta-pher für das Leben auf der Schattenseite zu einer Art Mittsommernachtstraum mit ange-messenem, leicht gruseligem Unterton – undaus Toni wird Puck.Gutes Songwriting zeichnet sich unter ande-rem dadurch aus, dass es dem Zuhörer viel In-terpretationsfreiheit lässt. Es soll berühren –aber jeden Zuhörer durchaus irgendwo oderirgendwie anders. Mit dem LiedNäbed Mirist ihm in dieser Beziehung ein kleines Mei-sterwerk gelungen. Der Träumer darin wachtmitten in der Nacht auf, weil er den geliebten Menschen an seiner Seite wieder zu spürenglaubt, obwohl das gar nicht mehr möglichist: „Es isch verbi, du bisch nüme da, für immerzu isch d’Tür“, wird ihm dabei dann bewusst.Ob es sich bei diesem Verlust um Tod, Verlassenheit oder Alzheimer handelt– alles wäre denkbar. Auch dass der Träumer selbst langsam den Verstand verliert oder dem Tod entgegen dämmert. Eine leise akustische Gitarren melodie begleitet diese angstvollen,traurigen Gedanken. James Taylor hätte dieses Lied nicht besser hingekriegt und Don Mc Lean wahrscheinlich auch nicht. Dieses weite Feld der Auslegung ist kein Zufall: „Ich mache das bewusst, weil ich es immer interessant gefunden habe, wenn Leute aus dem Publikum zu mir gekommen sind, um mir ihre ganz persönlichen Empfindungen zu einem meiner Lieder zu präsentieren. Oft genug Gedanken,auf die ich selbst nie gekommen wäre. Was Näbed Mirangeht, bin ich sogar noch nicht einmal sicher, ob ich mich live daran heran-wagen werde, weil die Emotionen, die dieser Song auszulösen vermag, mich auf der Bühne übermannen könnten, und das wäre mir peinlich“, erklärte Toni Vescoli im Gespräch.Es wäre sehr schade, käme ausgerechnet dieses Lied nie zum Vortrag. Ruthli, seine Frau, findet es „immer so traurig“, seinem Produzenten Felix Müller, ein Rockbassist,der schon mit Gianna Nannini rockte, habe es dafür „wahnsinnig gut gefallen“, ergänzte er weiter. Unter diesen Vorzeichen scheint es geradezu perfekt zu sein für jenes Radioprogramm auf SRF1 am Freitagnachmittag, wo sich zumeist ältere Menschen mittels Musik-wünschen Zuversicht und Anteilnahme in schwereren Zeiten übermitteln. Manchmal so rührend, dass einen beim Mithören selbst eine Welle Mitgefühl überkommt... und oft mit dem Klassiker Sierra Madre, woraufhin man dann selbst etwas Mitgefühl brauchen könnte. Brillant in jeder Beziehung ist auch Weiss Nöd. Melodisch kommt dieses Lied einem Country-Song am nächsten und verschleiert damit vordergründig seinen brisanten In-halt. Für diesen Song versuchte er sich in die Gedankenwelt eines Selbstmordattentäters hinein zu versetzen. „Dieses Lied hat eine lan-ge Geschichte, ausgelöst durch den IS-Terror.Lange fehlte mir eine passende Melodie dazu. Letztlich kam ich auf die finale Version, die jetzt Eingang ins Album gefundenhat. Ich spielte sie mit einer Bariton gitarre mit Bassaufgängen drin, um den fehlenden Bass zu ersetzen, und mit einer akustischen Gitarre zur Refrain begleitung sowie einer orientalischen Darbuka-Trommel ein.“ Wie er,angestachelt von der kriegerischen Ausbrei-tung des IS vor ein paar Jahren, dieses heikle Thema in perfekte Reime packt, ist grossartig. Insbesondere die sechste Strophe, wo er sich in die Seele des Attentäters nach vollbrachter Tat hineinversetzt, die das versprochene Pa-radies sucht, es aber – so Vescolis Annahme –nicht antreffen wird. Genauso wenig wie „däheilig Ma“ darin.Wem das als Themenkatalog noch nicht reicht, der findet auch noch eine rockige Geschichte über Motorradrockerehre und-befindlichkeiten, eine Bahnfahrt an den Hinterhöfen eines zersiedelten Landes vorbei,Vorbehalte gegen die scheinbar grenzenlose Digitalisierung oder das Geständnis zwischen all dem Blues, dass der Rock’n’Roll und der dazugehörige Lifestyle seine erste grosse musikalische Liebe waren (und im Herzen geblieben sind).„Gääle Mond“ ist eine Liedersammlung, die eigentlich eine eigene Show, wenn nicht gar Tour verdiente. Einige der Lieder haben bereits Eingang in Toni Vescolis diverse Shows gefunden, anderen steht das in absehbarer Zeit wohl noch bevor. Eine gute Gelegenheit, einen der verbliebenen hiesigen musikalischen Mehrgenerationenbegleiter mit neuem Album im Gepäck demnächst live er-leben zu können, ist am Frühlingsanfang, 21.März 2019, im Rahmen des Internationalen Country Music Festivals im Zürcher Albisgütli. Dort aber eher im Licht eines genretypischen Neonmondes.